Phylloxera kam mit dem Dampfschiff
Die Reblaus gab es im Osten und Süden der USA schon lange, weshalb die dort heimischen Wildreben eine allgemeine Resistenz gegen sie entwickelt hatten. Neben anderen amerikanischen Rebkrankheiten war die Reblaus sicher der Hauptgrund, warum viele Versuche europäischer Siedler, Vinifera-Reben in Amerika anzubauen, fehlschlugen. Die meisten amerikanischen Reben waren für den Weinbau ungeeignet, weil der typische Fuchsgeschmack (= Geschmack bzw. Geruch von nassen Tierfellen) zumindest für Europäer stark negativ ist. Aus botanischem Interesse an „exotischen“ Pflanzen kam es im 19. Jahrhundert trotzdem in Mode, amerikanische Rebpflanzen nach Europa zu importieren. Sie landeten als Zierpflanzen in englischen und französischen Gärten und Parks. So lange der Transport mit dem Segelschiff erfolgte, war das scheinbar kein Problem. Offenbar überlebten keine Rebläuse den langen Transport.
Mit der Einführung schnellerer Dampfschiffe und einem damit einsetzenden Boom des Transports lebender Pflanzen, änderte sich das schlagartig und innerhalb weniger Jahre nahm die Katastrophe ihren Lauf.
Kleiner biologischer Exkurs
Der heute gebräuchlichste wissenschaftliche Name für die Reblaus ist Viteus vitifoliae. Sie ist eine Pflanzenlaus aus der Gattung der Zwergläuse mit einem ziemlich komplizierten Lebenszyklus und verschiedensten Lebensstadien. Entscheidend ist, dass ein Lebenszyklus an den Blättern des Rebstocks und ein weiterer an den Wurzeln des Rebstocks abläuft, wobei die Wurzeln so sehr geschädigt werden, dass die Pflanze nach einigen Jahren daran stirbt.
Der Sieg über Phylloxera
In den 1870er Jahren wurden in Frankreich über 1'000 Behandlungsmethoden ausprobiert. Die Ideen reichten vom wochenlangen Überfluten der Weinberge, dem Einsatz von Schwefelkohlenstoff, der mittels 30'000 Löcher pro Hektar in den Boden eingebracht wurde, bis zum Vergraben einer toten Kröte im Wurzelbereich. Keine der vorgeschlagenen Massnahmen war jedoch geeignet, die Reblausplage sinnvoll zu bekämpfen.
Der Schlüssel zur Bekämpfung der Reblaus lag in ihrer Herkunft. Schon in den 1860er Jahren hatten französische Forscher darauf hingewiesen, dass die amerikanischen Reben resistent gegen die Reblaus waren. Eine Methode könnte also darin bestehen, reblausresistente, amerikanische Unterlagsreben (Wurzel und Stamm) mit der gewünschten europäischen Rebsorte durch Aufpfropfen zu veredeln.
So könnten Reblausresistenz und gewünschte Weinqualität kombiniert werden. Der amerikanische Entomologe (Insektenforscher) C. V. Riley wies zudem eindeutig nach, dass es sich bei dem Insekt in Frankreich um die amerikanische Reblaus handelte und sprach sich für das Pfropfen auf amerikanische Unterlagsreben aus.
Er verwies den Reblausbekämpfer Planchon an die Rebschule in Missouri, die in den folgenden Jahren Millionen von Unterlagsreben lieferte und damit den französischen und in der Folge europäischen Weinbau vor dem Untergang bewahrte. Die Methode war erfolgreich, Phylloxera wurde besiegt, gleichzeitig die Weinwelt völlig verändert. Heute wachsen auf der ganzen Welt nur noch etwa 15 % aller Rebstöcke auf ihren eigenen Wurzeln, 85 % aller Rebstöcke haben „amerikanische“ Wurzeln.